Eine Fotoausstellung von
Arthur Bauer // Elisa Berdica // Christian Kleiner // Sofia Samoylova // Miriam Stanke


Ausstellungsdauer: Sommerpause bis 2022
Öffnungszeiten
Do. / Fr. 16 - 19 Uhr
Sa. 14 - 19 Uhr
[an Feiertagen geschlossen]

ÖVA Passage
P7, 68161 Mannheim

Beschreibung
Die Fotoausstellung OSTOST zeigt fünf fotografische Positionen, fünf Orte mit ihren ganz eigenen Fragestellungen nach Zukunft und Identität: Wir blicken auf das Vermächtnis des Jugoslawienkriegs in Bosnien-Herzegowina, beobachten eine sich atomisierende Gesellschaft in Irkutsk und landen schließlich inmitten betongewordener Utopien in Astana. Eine besondere Aktualität und Dringlichkeit formuliert die Serie über die lodernde Gegenwart der Ukraine, die einen unmittelbaren Widerhall in Warschau findet.

Als gemeinsamer Nährboden der gezeigten Serien steht, quasi als Stunde Null, der Zusammenbruch der Sowjetunion. Kräfte der Auflösung und des Neubeginns rüttelten am Koordinatensystem der Welt. Staaten bildeten sich neu, andere vergingen, Grenzlinien wurden in Frage gestellt. Dynamiken, deren Auswirkungen seismisch spürbar bis heute in die Ordnung Eurasiens hineinwirken.

Die fotografischen Arbeiten – jede für sich ein Schlaglicht auf einen postsowjetischen Ort – ergänzen sich zu einem Mosaik, das einer unberechenbaren Welt und ihren Wechselwirkungen nachzuspüren versucht.


A COUNTRY AIN’T TOO MUCH TO LOVE

von Miriam Stanke
Bosnien und Herzegowina 2018 - 2022

„A Country Ain’t Too Much To Love“ beschäftigt sich mit der Frage von Schuld, Trauma und Resilienz nach Ende des Krieges im heutigen Bosnien und Herzegowina. Das dokumentarfotografische Projekt konzentriert sich dabei weitestgehend auf eine junge Generation, die nur durch die Erinnerung anderer sowie durch die noch immer sichtbaren Spuren des Krieges in ihrer unmittelbaren Lebenswelt mit dem Konflikt verbunden ist. Fast drei Jahrzehnte nach Kriegsende prägen mit Einschusslöchern übersäte Fassaden, verminte Waldgebiete und kontaminierter Boden immer noch die Landschaft Bosniens und sind stumme Zeitzeugen der Vergangenheit, die die Vorstellung eines geteilten Landes bestärken. Auch eine Politik der ethno-politischen Segregation treibt dieses Narrativ weiterhin voran. Das Erbe der jungen Nachkriegsgeneration ist untrennbar mit der Frage von Schuld und Versöhnung verbunden und wird damit auch zum Symbol für den Kampf um die Zukunft des Landes.

Das Langzeitprojekt „A Country Ain’t Too Much To Love“ ist ein Gemeinschaftsprojekt der Fotograf:innen Miriam Stanke und Carlo Lombardi. Ein weiterer Teil der Arbeit wird ab 5.06. bis 31.07.2022 im Büro Brutal, Laurentiusstraße 26, Mannheim Neckarstadt-West präsentiert.

Miriam Stanke (geb. 1983)
ist freischaff ende Fotografin mit dem Schwerpunkt Dokumentarfotografie. 2015 absolvierte sie ihren Master in Photojournalism and Documentary Photography am London College of Communication (LCC). In ihren Langzeitprojekten beschäftigt sie sich häufig mit den Auswirkungen von Konflikten und setzt sich mit Fragen von Trauma und Resilienz sowie ethnischen und kulturellen Besonderheiten auseinander.

2015 erhielt sie u.a. den Flash Forward Award der Magenta Foundation sowie den Graduate Photographers Award von Magnum Photos und Photo London und wurde für den Bar-Tur Photobook Award 2014, den Luma Rencontres Dummy Book Award Arles 2015 sowie den Kassel Book Dummy Award 2016 nominiert.

Ihre Arbeiten wurden auf mehreren Ausstellungen gezeigt, darunter das Einraumhaus Mannheim 2022, die Regionale Deltabeben 2020, port25 in Mannheim, die OFF Triennale Hamburg 2018, das Backlight Festival 2017 (Finnland), das Athens Photo Festival 2016 (Griechenland), die OFF//FOTO 2017 in Mannheim und Ludwigshafen sowie der Kunstverein Mannheim (2016). Sie arbeitet mit nationalen und internationalen Magazinen zusammen. Ihre Publikationen sind u.a. im British Journal of Photography, GUP Magazin, FAZ, taz, Spiegel, Vice, Gesellschaft für bedrohte Völker und dem DUMMY Magazin erschienen.

Sie lebt und arbeitet derzeit in Mannheim, Deutschland.

https://miriamstanke.com/


NULLLINIE.

von Sofia Samoylova
Ukraine 2015 - 2022

Der Bilderzyklus NULLLINIE. zeigt Arbeiten von der ukrainischen Front nahe der Ortschaften Donezk und Luhansk: Bilder von Schützengräben, von Ruinen und verbrannter Erde, von Trauerfeiern und liebevoll eingerichteten Wohnräumen, die der Zerstörung zum Opfer fielen.

Methodisch nähert sich Sofia Samoylova mit einer kompromisslosen Konsequenz, indem sie das Geschehen vor Ort über Wochen miterlebt. Kennzeichnend für ihre Arbeitsweise ist die bewusste Vermeidung eines distanzierenden, konstruierten Blicks: Gerade in der alltäglichen Absichtslosigkeit entstehen Bilder, die Nähe, Intimität und Wahrhaftigkeit vermitteln. So gleichen die Fotografien nicht der dokumentarischen Bildästhetik üblicher Kriegsberichterstattungen, vielmehr ist es die persönliche Verbundenheit zu den Orten und Menschen, was den Sog, die Nähe und erzählerische Intension ihrer Bildwelt ausmacht.

Eine Kunst ohne Künstlichkeit: Der unverstellte Blick auf ein Dasein zwischen Heimat, Krieg, Zerstörung, Trauer, Liebe und Hoffnung.

Sofia Samoylova
ist eine deutsch-ukrainische Regisseurin und Fotografin, geboren 1990 in der Sowjetunion, aufgewachsen in der Ukraine und in Deutschland. Sie macht eine Ausbildung zur Mediengestalterin Bild und Ton und studiert Filmproduktion in Wiesbaden. Sofia Samoylova widmet sich mit ihren Projekten dem dokumentarischen Erzählen in Form von Film und Fotografie. Als freie Regisseurin arbeitet sie in Deutschland und international, derzeit lebt sie in Ludwigshafen und Frankfurt.

www.sofia-samoylova.com
www.nulllinie.com


SimCity: Astana

von Christian Kleiner
Astana, Kasachstan 2017

Man gab ihr den Namen Akmolinsk, Zelinograd, Aqmola, Astana und seit 2019 firmiert sie nun unter dem Namen des des Ersten Präsidenten der Republik: Nur-Sultan. Eine geplante Stadt als betongewordenes Symbol des neuen kasachischen Selbstverständnisses.

Astana („Hauptstadt“) steht dabei exemplarisch für einen neuen Typus moderner eurasischer Großstädte und hat in den letzten 20 Jahren eine beispiellose Transformation durchlaufen. Angetrieben durch die reich sprudelnden Einnahmen aus Erdöl und Erdgas konnte Präsident Nursultan Nasarbajew den Umzug der Hauptstadt aus Almaty in die ewigen Weiten der Steppe realisieren und seinen Träumen einer am Reißbrett geplanten Metropole freien Lauf lassen. Ein neoklassizistisches Opernhaus, ein Luxushotel in chinesischer Pagodenform, eine gigantische Shopping-Mall in Form einer Jurte, ein Präsidentenpalast, der offenkundig eine größere Version des Weißen Hauses darstellt – all dies lässt die Stadt wie einen großen, bizarren Themenpark wirken. Das ehemals nomadische Volk erschafft dabei einen architektonischen Remix ohne planerisch greifbare Raumlogik. Fassaden ohne gewachsene Substanz, überbordender Zierrat und Ornamentik, alles ist ein Symbol. Zitat eines Symbols.

Innerhalb von wenigen Generationen durchlaufen die Kasachen den Wandel von Nomaden zu sesshaften Sowjetbürgern und finden sich nun unvorbereitet in der digitalisierten Welt des globalen Kapitalismus wieder. Spannungsrisse, Dehnungsfugen und Brüche nicht nur in der sichtbaren Architektur, auch in der Gesellschaft zeugen vom nicht aufzuhaltenden Wandel eines Landes, das in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit zwischen orientalischer Traditionsfindung, westlichen Vorbildern und sowjetischem Erbe seinen Weg erst noch finden muss.

In den Bildern der Serie „SimCity: Astana“ offenbart sich die Metropole dem Betrachter immer wieder auch als groteskes Bühnenbild. Ein urbanes Tableau, das Menschen scheinbar nur als Statisten vorsieht und das mit seiner unorganischen Dynamik dabei auch irritierende Einblicke in eine sich schnell wandelnde Gesellschaft gibt.

Christian Kleiner (geb. 1974)
ist seit 2008 national und international als Theaterfotograf tätig. Neben seinem festen Engagement am Nationaltheater Mannheim arbeitet er auch im Bereich Portrait-, Reportage- und Architekturfotografie. Neugier und der Wunsch, Themen und Zusammenhänge inhaltlich zu durchdringen, bringt er aus seinem Studium der Geografie und Geschichte mit. Christian Kleiner ist Gründungsmitglied des Medienkunstfestivals B-SEITE sowie des Künstlerkollektivs BRÜTEN.

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WOLNA UKRAINA

von Elisa Berdica
Warschau, Polen 2022

Anfang März 2022 begab ich mich nach Warschau, um die Situation in der Stadt zu dokumentieren. Aufgrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine war Polen mit der höchsten Zahl ukrainischer Geflüchteter konfrontiert. Durch diesen Ausnahmezustand sowie die Kampfhandlungen, die nur 30 km von der polnischen Grenze stattfanden, war von einer angespannten Atmosphäre in der Stadt auszugehen. Wider Erwarten war Warschau voller Solidarität und positiver Stimmung.

Es war herzerwärmend zu beobachten, wie gelassen die Bewohner der polnischen Hauptstadt ihren Alltag in Krisenzeiten bestreiten. Überall auf den Straßen waren Symbole, Gesten und Aktionen der Solidarität zu sehen, die ich in meinen Bildern einzufangen versuchte. Nur am Hauptbahnhof, wo sehr viele ukrainische Ankömmlinge betreut werden mussten, konnte man das wahre Ausmaß des Elends erahnen.

Als ehemals sowjetischer Einflussbereich fühlt sich Polen durch die russische Aggression in der Ukraine unmittelbar bedroht. Die gemeinsame Erfahrung von Besatzung und Unterdrückung durch den unberechenbaren Nachbarn im Osten hat ein starkes Band zwischen den beiden Ländern geschaffen. Die Polen leisten eine beeindruckende Arbeit, indem sie so viele Menschen aus der Ukraine aufnehmen und unterstützen.

Elisa Berdica (geb. 1988)
stammt ursprünglich aus Albanien. Sie beendete ihr Studium der klinischen Psychologie an der University of Bologna in Italien und zog anschließend für ihre Promotion nach Mannheim, wo sie seit 2011 lebt und arbeitet. Neben ihrer Lehrtätigkeit an der Universität Mannheim und ihrer Arbeit im Bereich der psychischen Gesundheit, ist sie seit 2018 als freiberufliche Fotografin mit Schwerpunkt Reportage & People tätig.

Dadurch, dass sie in Albanien, Italien, Kosovo und Deutschland gelebt hat und eine begeisterte Reisende ist, wird ihre Identität von dynamischen Narrativen geprägt. Der Einfluss der Psychologie ist in ihrer Arbeit genauso spürbar wie ein aufrichtiges Interesse an den Menschen, die sie in ihrem Alltag porträtiert.. sei es in Tagen der Normalität oder in Zeiten der Krise.

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BAIKAL BLUES

von Arthur Bauer
Irkutsk, Russland 2021

Ein Fotoprojekt über die urbane Kultur Russlands führte mich im Juli 2021 nach Irkutsk. In Zeiten ohne eine grassierende Pandemie ist die Stadt voller Leben, Menschen aus aller Welt reisen in das mystische Naturgebiet am Baikalsee. Doch aufgrund der explodierenden Inzidenzen wurde das soziale und kulturelle Leben auf ein Minimum reduziert. Die Stadt hüllte sich in eine Mischung aus Gelassenheit und Melancholie. In der Bevölkerung machte sich das Gefühl breit, in einer Art Transitzone festzusitzen. Dieses Gefühl, das durch COVID-19 noch verstärkt wurde, beschreibt anschaulich den Zustand des Landes: viele Menschen warten auf Veränderung. Doch echter Fortschritt wird durch ein System blockiert, das immer aggressiver gegen jegliche Opposition vorgeht.

Mit dem sinnlosen Krieg gegen die Ukraine hat das Putin-Regime Russland nicht nur international isoliert, sondern auch im eigenen Land ein Klima der Angst und Hilflosigkeit geschaffen. Die Fronten verlaufen zwischen Staat und Gesellschaft, durch Generationen, Familien und Freundeskreise. Kritik wird nicht geduldet, eine Zivilgesellschaft ist nicht erwünscht. Die Menschen ziehen sich zurück ins Private, die Atomisierung der Gesellschaft ist die schleichende Konsequenz.

Arthur Bauer (geb. 1983)
in Kasachstan geboren, immigrierte 1991 nach Deutschland. Nach dem Studium der Politik, Soziologie und Psychologie an der Universität Mannheim begann er, im Bereich Fotografie und Film zu arbeiten. Sein Interesse als Dokumentarist gilt den Wechselwirkungen zwischen Mensch und System: Welchen Effekt hat Kontext auf das Individuum? Und wie gestaltet der Mensch seine Umwelt?

Seine Arbeiten über das Alltagsleben in Europa, Russland und den USA waren Teil von diversen Ausstellungen, darunter die Regionale Deltabeben 2020 [port25, Mannheim], New Currents [BBA Gallery, Berlin 2021] und Street Sans Frontieres [Galerie Joseph Turenne, Paris 2019]. 2021 realisierte er mit der Serie KAZAN IN FEBRUARY seine erste Einzelausstellung in der Nationalgalerie für moderne Kunst in Kazan, Russland.

https://www.arthurbauer.net/


Die Ausstellung entstand in Kooperation mit OFF//FOTO
und mit freundlicher Unterstützung des Kulturamtes der Stadt Mannheim.